Trauer und Beziehungen

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    Wenn wir einen geliebten Menschen in seiner Krankheit begleiten oder nach seinem Tod um ihn trauern, hat das oft Auswirkungen auf unsere Beziehungen. Zumindest ist das meine Erfahrung.

    Ich habe die Erfahrung mit meinem Vater als so allumfassend empfunden, dass sie sich auf all meine Lebensbereiche ausgewirkt hat und so auch auf die Beziehungen – sowohl auf Freundschaftliche, als auch auf Partnerschaftliche.

    Heute möchte ich gerne mit dir teilen, was die Erkrankung und der schließliche Tod meines Vaters mit meiner Beziehung gemacht hat.

    Als mein Vater erkrankte, waren mein Freund und ich bereits seit 9 Jahren zusammen. Er gehörte somit damals schon fest zur Familie und hat meinen Vater das ganze Jahr über ebenso begleitet, wie der Rest der Familie es getan hat. Er war mit mir im Krankenhaus, nachdem wir den Anruf bekommen hatten, dass sein Herz stehen geblieben war und er gerade widerbelebt wurde; er saß mit mir an seinem Krankenbett auf der Intensivstation und lernte die Bedeutungen der medizinischen Fachbegriffe ebenso schnell wie ich zu deuten; er war dabei als mein Vater in die Früh-Reha verlegt wurde und besuchte ihn entweder mit mir oder auch alleine über das gesamte Jahr hinweg.

    Für mich war es immer schön, ihn bei mir zu haben. Ich fühlte mich dadurch sicherer und mein Vater versuchte bei meinem Freund immer besonders gut drauf zu sein und den ein oder anderen Witz zu machen, während er sich bei mir ganz gehen lassen konnte und ich dadurch sein Leid im vollen Ausmaß erlebte.

    Objektiv betrachtet war alles gut und auch meine Schwester sagte mir Jahre später, dass sie immer gedacht hatte, dass diese Situation meinen Freund und mich noch näher zusammengeschweißt hätte und sie mich darum beneidete.

    Subjektiv betrachtet war es aber anders…

    Ich habe hier auf dem Blog ja bereits des Öfteren davon erzählt, dass ich mein Leben während der Erkrankung meines Vaters auf die Pausetaste gedrückt hatte. So auch meine Beziehung und dies in allen Facetten. Doch mit der Pausetaste ist es so eine Sache – man kann sein Leben nicht auf Pause drücken und seine Beziehung ebenso wenig.

    Doch mein Leben bestand nur noch aus der Krankheit meines Vaters und allen Themen und Erledigungen, die damit einhergingen: Zuallererst natürlich die täglichen Besuche bis spät abends; die Recherchen zu Krankheiten und möglichen Therapien; die Gespräche und Telefonate mit Kranken- und Pflegeversicherungen, Ärzten und Therapeuten; die Auseinandersetzung mit Pflegediensten und der behindertengerechte Umbau seiner Wohnung. Und ganz nebenbei noch der neue Job, den ich erst in diesem Jahr begonnen und zu dem ich täglich eine Stunde hin und eine zurückfuhr.

    Mein Freund war in all der Zeit von außen betrachtet großartig: Er kümmerte sich komplett um den Haushalt und sorgte dafür, dass ich jeden Abend, wenn ich spät nach Hause kam, noch ein warmes Essen zu mir nahm. Er begleitete mich oft zu meinem Vater; baute mit Freunden zusammen seine Wohnung um und beschwerte sich in all der Zeit kein einziges Mal , dass unsere Beziehung quasi nicht mehr existent war.

    Doch all das, konnte ich nicht sehen.

    Für mich war es immer noch zu wenig; nie konnte er es mir Recht machen und nichts war gut genug. Auch wenn ich rational wusste, dass es absoluter Quatsch war, so wünschte ich mir dennoch, dass er mir den Schmerz abnahm und irgendwie machte, dass alles wieder gut war. Aber das ging natürlich nicht.

    Nach dem Tod meines Vaters wurde alles noch schlimmer. Plötzlich wurde das ganze Ausmaß einer Beziehung auf Pausetaste erkennbar. Es gab keine Themen mehr, um die ich mich kümmern musste und keinen Grund mehr abends erst spät nach Hause zu kommen. Aber ich fand andere Dinge, in die ich mich stürzte, wie die Arbeit und den Sport und so behielt ich meinen Rhythmus, den ich mir im vergangenen Jahr angeeignet hatte bei. Auch das akzeptierte mein Freund. Er ließ mich machen, ließ mich, mich so verhalten, wie ich wollte und hielt sich selbst und seine Bedürfnisse weiterhin komplett zurück. Nur das machte mich irgendwie noch wütender und die Kluft zwischen uns wurde immer größer.

    Mir war Kommunikation in der Beziehung schon immer sehr wichtig und so sprachen wir auch über unsere Probleme und schilderten beide unsere Sicht auf die Dinge, nur irgendwie verstanden wir die Sicht des anderen nicht und kamen nie zu einer Lösung.

    Etwa neun Monate nach dem Tod meines Vaters setzten wir uns ein Ultimatum. Wir wollten uns Zeit bis Ende des Jahres geben und dann entscheiden, ob wir uns noch eine gemeinsame Zukunft vorstellen konnten oder nicht.

    Etwa zu der Zeit begann ich auch meine Gesprächstherapie und ich sprach mit der Therapeutin nicht nur über meinen Vater, sondern auch über meine Beziehung.

    Eines Tages fragte sie mich: „Ganz ehrlich Frau Rippegarten, haben Sie beide sich nicht schon längst innerlich getrennt?“ Dieser Satz löste irgendwas bei mir aus… Was fiel dieser Frau ein, so über meine Beziehung zu denken. Ich spürte plötzlich all die Gefühle, die nach wie vor da waren, aber so lange von mir weggedrückt worden waren und zählte ihr ein Argument nach dem anderen auf, warum wir uns noch nicht innerlich getrennt hätten. Meine Therapeutin lächelte mich an, wahrscheinlich war genau das ihr Ziel gewesen. Sie riet mir, dass wir es unter den Umständen dann auch mal aktiv angehen sollten, bevor es wirklich zu spät war und empfahl mir, eine Paarberatung in Anspruch zu nehmen.

    Ich erzählte meinem Freund davon und er war einverstanden. Im Endeffekt waren wir nur zweimal bei dieser Paarberatung. Mehr war gar nicht nötig. Die Paarberaterin spiegelte uns beiden unser Verhalten und zeigte vor allem mir, was ich alles nicht sehen konnte. Ich war so lange blind vor Trauer gewesen und auf der Suche nach einem Schuldigen, war es irgendwie einfach alles auf die Person zu projizieren, die einem am nächsten war.

    Wir gingen darauf ein, was uns beiden fehlte und was wir uns vom anderen gewünscht hätten und erarbeiteten mit der Beraterin einen Plan, wie wir dies in den nächsten Wochen mehr und mehr umsetzen und in unsere Beziehung zurückholen konnten.  Es tat unglaublich gut, dass wir nun eine Herangehensweise an der Hand hatten und gegenseitig voneinander gehört hatten, was wir aneinander schätzten und wie viel uns der andere bedeutete. Natürlich hat es noch eine ganze Zeit lang gedauert, bis wir final wieder zueinander gefunden hatten. Ich glaube so richtig erst im Sommer 2017, als wir für vier Wochen durch Neuseeland reisten und keinen Alltag hatten, der uns davon ablenkte, uns um unsere Beziehung zu kümmern. Aber es hat sich definitiv gelohnt, den Weg zu gehen und dranzubleiben.

    Beziehungen können immer einfach und schön sein, wenn das Leben leicht ist. Aber wenn das Leben einen herausfordert, wenn es dich an deine Grenzen bringt, dann lernst du die Beziehung erst richtig kennen.

    Und im Nachhinein bin ich dankbar für die Krise, durch die wir gemeinsam durchgegangen sind, denn heute führen wir eine so viel tiefere, ehrlichere und bewusstere Beziehung als jemals zuvor und wissen, dass wir selbst solche Schicksalsschläge gemeinsam meistern können.

    Das ist nun ein ganz schön langer Artikel geworden. Ich hoffe, ich konnte dich damit ein wenig unterstützen, falls auch du merkst, dass sich deine Beziehung durch dir Trauer verändert hat. Im nächsten Beitrag führe ich noch einmal ein paar Tipps auf, die meiner Erfahrung nach helfen, wenn man sich in der Beziehung verloren oder auseinandergelebt hat.

     

    Bis dahin erst einmal alles Liebe,

    Deine Vanessa

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